Istanbul Airport. Acht Stunden Aufenthalt vor dem Weiterflug nach Kiew. Eigentlich hatte ich mit einem Couchsurfing-Kontakt eine Nachtfahrt durch Istanbul vereinbart. Über 2.000 algerische und marokkanische Mekka-Pilger durchkreuzten mein Vorhaben. Flughafen-Überlastung. Transfer-Reisende wurde gebeten, im Flughafengelände im Transfer-Bereich zu bleiben. So verbrachte ich eine Nacht im Atatürk Airport.
Gestartet bin ich ja in Salzburg, 2 Terminals – an meinem Terminal gerade einmal 9 oder 10 Gates. Alles ist überschaubar, direkt schon gemütlich. In Istanbul las ich gerade ein Schild, ein Hinweis auf Gate 700-712 … kein Wunder – Istanbul ist Europas drittgrößter Flughafen nach London und Paris.
Mein Weg vom Ankunftsterminal zum Sicherheits-Check-in des Transfer-Bereichs dauerte trotz unzähliger Laufbänder fast eine dreiviertel Stunde. Eine riesige Menschenmasse weiß gekleideter Mekkapilger erwartete mich – jetzt nicht weiter nachdenken, sich einfach dem Schicksal ergeben und mich selbst diesem Menschenmeer hinzufügen, dachte ich mir. Mitten drin kommen mir diese Mekkapilger vor wie eine riesige Gänseschaar. Das gleiche Geschnatter – und: eine Glückseeligkeit geht von ihnen aus, die fast schon ansteckend ist. Viele von ihnen sprechen mich an, fragen mich wie ich heiße, wo ich herkomme, wo ich hinwolle und ob ich glücklich sei. Dabei unaufhörlich herzhaftes Lachen. So unbedarft, wie kleine Kinder.
23.30 Uhr endlich angekommen im Transferbereich. Die volle Wucht des west-östlichen Konsums trifft mich jetzt. Ein Duty-Free neben dem anderen, Escada, Boss & Co. In Ergänzung dazu türkischer Glitzerschmuck und türkische Edel-Süßigkeiten in Geschenkverpackung für Zuhause. Ein Haribo-Stand mit Halal-Zertifizierung (=rituell reine Speisen). Ich gehe solange in eine Richtung bis ich das Ende erreiche. Dann mache ich kehrt und gehe in die andere Richtung – dann die Ebene 2, dann der Terassenbereich. Die Füße tun mir weh, ich habe Hunger. Ich suche ein Lokal mit türkischer Küche. Finde nichts entsprechendes. Nur ein Seafood-Restaurant. Kein Gericht billiger als 50 Euro. Nichts für mich. Weitersuche – ich ergebe mich: Suche mir einen Platz im BurgerLab. Bestelle holländisches Bier, einen Steakburger und French-Potatoes. Neben mir eine Gruppe junger Kirgisen. Einer von ihnen spricht Englisch. Nach dem er erfährt, dass ich Deutscher bin, macht er seine Tasche auf und zieht eine HSV-Fanmütze heraus und erzählt, dass er schon dreimal bei einem Spiel in Hamburg war und dass er, wenn er wieder genügend Geld beisammen hat, wieder zu einem Spiel fahren wird. Der HSV-Fan ist sichtlich enttäuscht, als ich ihm erkläre, mich nicht für Fußball zu interessieren. Einige Zeit später taucht ein ein Ehepaar algerischer Mekka-Pilger auf. Er bestellt ein Bier, sie einen Wein – es menschelt also überall!
Nach einer Weile nimmt ein Mittfünfziger Platz. Er spricht Englisch. Wir kommen ins Gespräch. Er ist Chairman einer Internet-Organisation, die sich mit Internet-Sicherheit und Verbreitung im Südkaukasus beschäftigt. Er kommt aus Tiflis. Er erzählt von seinem Land. Vom georgischen Wein. Von den vielen schönen Bürgerhäusern mit ihren prachtvollen Toren. Er erzählt von der schönen Schrift, den freundlichen Menschen und er erzählt davon, daß Georgien das erste Land gewesen sein, dass aus dem Sowjet-Verbund ausscherte. Er erzählt, dass Deutsche kein Visum benötigen. Wir tauschen Visitenkarten aus und ich solle mich vorher per E-Mail melden, wenn ich nach Tiflis komme. Weitere Platzwechsel im BurgerLab. Ich breche wieder auf. Es ist 02:30 Uhr.
Mittlerweile ist es 04:00 Uhr. Ich sitze im Fresh-Bakery und trinke meinen zweiten Tee. Langsam werde ich müde. An der Anzeigetafel bekommt der Anschlussflug nach Kiew endlich seine Gatenummer zugeteilt. Nummer 308. Ich mache mich auf den Weg. Ich gehe, ich gehe, ich gehe. Vor dem Gate ein bulliger Mann mit Glatzkopf. Ohne Zweifel mein erster Ukrainer heute. In drei Stunden werde ich in Kiew sein. Draußen wird es langsam unwirklich hell.
06:17 Uhr: Ich sitze im Flugzeug nach Kiew. Die Kühle der Außenluft lässt die Erlebnisse der letzten Nacht wie in einem Traum erscheinen, der nicht wirklich wahr zu sein scheint. Vor ein paar Minuten hatte ich meinen ersten Ukrainer gefragt, ob er wisse, wie ich am besten zu meinem Hostel in Kiew komme. Er entpuppte sich als ein perfekt Englisch sprechender (im Gegensatz zu mir). Er war ungemein sympathisch. Er konnte mir zwar nicht weiterhelfen, gab mir aber die Info, dass man 45 Minuten in die Stadt fährt. Er selber fahre aber immer „fullspeed“ und schaffe es in 35 Minuten. Er gab mir den Rat, ich solle bei ukrainischen Taxifahrern aufpassen, am Schluss nicht mehr Gepäckstücke zu haben als ich eingestiegen war. Und ich solle aufpassen aus Versehen nicht den Preis nach Moskau zu zahlen …
Da erzählt einer einem Fremden über sein Land und über die schöne Schrift und das Unglaubliche: er lädt ihn gleich zu sich nachhause ein … irgendwie unvorstellbar hierzulande, gell?